Verrat. Die Welt hat sich gedreht
Erzählungen

:Transit Buchverlag


 
 
Leseprobe
 
Verrat. Die Welt hat sich gedreht   
 

Questin hatte geahnt, daß der Hauptmann ihm nach so vielen Jahren grenzgeschützter Entfernung, die eine leichtfertige Art von Vergessen begünstigt hatten, im Moment der unausweichlichen Wiederherstellung der Erinnerung, gewiß nicht ohne sichtbare Zeichen hochgradiger Nervosität gegenübertreten würde.

Und er hatte auch geahnt, daß er ihn aus genau diesem Grund wiedererkennen würde als den, dem er bereits vor langer Zeit, Monat für Monat und täglich, begegnet war: Ein verletzliches Gesicht, das die eiserne Unverletzlichkeit um sich herum Lügen zu strafen schien.

Es war diese unerwartete Schwäche gewesen, in die Questin, als er sie entdeckte, ohne zu zögern eingetaucht war wie Siegfried in das Bad aus Drachenblut. Und da er zu jener Zeit keinen einzigen Menschen unmittelbar an seiner Seite wußte, keine Frau, keine Kinder, keinen Freund, hatte das Schicksal an diesem Ort und Punkt seines Lebens nicht die geringste Chance, über Leichtsinn und Verrat hinweg, Schicksal an ihm zu spielen. Es gab, so glaubte er, kein Lindenblatt am Körper seiner Seele, von dem er nicht gewußt hätte.

Nun standen sie sich gegenüber und Questin sah, wie die linke Hand des Mannes, der ihm einst in der Uniform eines Hauptmanns des Sicherheitsdienstes Fragen gestellt hatte, auffällig zitterte. Er registrierte das regelrechte Flattern der Hand nicht zuletzt deshalb so deutlich, obwohl es schon Abend und fast dunkel im Hausflur war, weil der Mann vor ihm, der einen verwaschenen Trainingsanzug der untergegangenen Armee trug, in der Hand, die so sichtbar vibrierte, eine Zigarette festhielt, deren glühendes Ende unruhig auf und ab tanzte und den feinen Faden aus weißem Qualm, der aufstieg, immer wieder zerriß.

Nachdem sie sich begrüßt und der Mann hinter ihm abgeschlossen hatte, sagte Questin: So sieht man sich wieder. Ja, sagte der Mann leise und lief links an ihm vorbei, ich werde wohl besser vorgehen, Sie wissen ja nicht, wo wir wohnen. Nein, sagte Questin und folgte ihm schweigend. Im Treppenhaus roch es nach alten Zeiten.

 

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