Bildnis eines venezianischen Mönchs
          Eine Liebesgeschichte

      Edition Toni Pongratz


 
 
Leseprobe
 

Meist flogen sie die Stadt kurz nach dem Jahreswechsel an, wenn sie am freiesten war von Touristen. Sie bezogen immer dasselbe Hotel. Es lag in unmittelbarer Nähe zum Markusplatz und blieb doch fast vollkommen unberührt vom Treiben darauf. Das riesige „U“ der Alten und Neuen Prokurazien, hinter denen es stand, die schier endlosen Arkaden und unzähligen Räume des fast nutzlos gewordenen Bürokratenpalastes schienen jeden Lärm, der mit den Taubenschwärmen zwischen dem „Cafe Florian“ und seinem ewig abgeschlagenen Konkurrenten „Quadri“ aufstieg, zu verschlucken oder in Richtung Basilika zurückzuwerfen. Immer erhielten sie ihr erstes Zimmer, das Ausblick über die Einfahrt zum Canal Grande bot und auf die ganze Pracht darüber hinaus. Nur einmal hatte man sie in dieser Hinsicht nicht aufmerksam behandelt, nach ihrer sanften Intervention wurde die Sache umgehend korrigiert. Spätestens seit diesem Vorfall waren sie die Stammgäste, als die sie sich von Anfang an gefühlt hatten, auch weil sie noch nie bedrängt worden waren, den prachtvollen Frühstückssaal endlich zu verlassen, obwohl sie ihn fast immer zu spät betraten, kurz vor der Schließung gegen elf Uhr, und trotzdem ausgiebig aßen. Selbst daß er zwischen dem Servieren des Kaffees und dem ersten Biß in eines der runden, fast weißen, mit Butter und Konfitüre bestrichenen Brötchen voller Luftblasen noch einmal kurz das Hotel verließ, um vom nahegelegenen Kiosk Tageszeitungen zu holen, brachte keinerlei Spannung in die gleichbleibende Freundlichkeit, ja Fröhlichkeit des Personals. Sie liebten das Haus, das im Innern von kühler, klassischer Klarheit war, und ihre Herzen schlugen höher, wenn das Wassertaxi endlich einbog in den kurzen Nebenarm des großen Kanals, an dessen Ende die Anlegepfosten des Hotels aus dem schlammigen Grund ragten.

 

Die Tage in der Stadt verbrachten sie mit ziellosem Umhertreiben; die Stadt selbst war das Ziel. Was sie sonst noch zu bieten hatte, würde sich finden. Aber für dieses Jahr hatten sie erstmals etwas geplant: eine Ausstellung sollte besucht, ein kleines Restaurant wiedergefunden werden. Die Ausstellung versprach etruskische Schätze, das Restaurant eine Fischsuppe, wie sie ihnen, bohrende Erinnerung, seitdem nie mehr unter die Gaumen gekommen war. Die Ausstellung zu erreichen, war kein Problem; das Restaurant suchten sie seit zwei Jahren vergebens. Sie hatten die Quittung mit der Adresse verlegt, und das Gassenlabyrinth hielt, seitdem sie suchten, ihr Erinnerungsvermögen zum Narren. Immer wenn sie glaubten, das Restaurant wiedergefunden zu haben, die Straße, in der es liegen mußte, das Viertel, erwies es sich zum Schluß als Chimäre. So genau sie noch wußten, wie es in seinem Inneren ausgesehen hatte, so unklar blieben Gasse und Häuserfront, in denen es lag. Der Zufall hatte sie beim ersten Mal hingeführt, er schien die einzige Methode zu sein, es wiederzufinden. Wenn sie darüber sprachen, nahm das kleine Restaurant, je mehr Zeit seit ihrem Besuch verging, den Aggregatzustand eines Traums an, an den sie sich beide deshalb so genau erinnerten, weil sie ihn zur selben Zeit geträumt hatten. Nur das gab es in Wirklichkeit nicht, daß zwei im Schlaf nebeneinander dasselbe träumen, jedenfalls hatten sie noch nie davon gehört. Es mußte also Realität gewesen sein, hinter welcher anderen auch immer sie sich seitdem verbarg.   

 

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