Hohenecker Protokolle

   Aussagen zur Geschichte der
  politischen Verfolgung von
Frauen in der DDR

Forum Verlag Leipzig


 
 
Leseprobe
 
Russische Zehn Minuten dauern Jahre
Gespräch mit Wendelgard Trampota
 

Ich wurde am 15. August 1950 in Wismar verhaftet. Man sagte mir, ich solle nur mal für zehn Minuten wegen einer Aussage mitkommen. Aber das waren, wie ich später merkte, „russische” zehn Minuten, denn sie dauerten dann immerhin dreieinhalb Jahre. Der Verhaftung schloß sich ein erstes Verhör an, das „nur” acht Stunden dauerte. Nachdem knapp vier Wochen vergangen waren, wurde ich am 11. September 1950 aus der Zelle geholt, so gegen 21.30 Uhr, und mußte meine paar Sachen mitnehmen. Ins Verneh-mungszimmer geführt, erklärte mir einer der anwesenden sowjetischen Offiziere, daß ich jetzt zurück nach Hause käme. Wie ich nun glaubte losgehen zu können, sagte man mir, daß ich nach Hause gefahren werden würde. Also wir stiegen in einen PKW ein und fuhren durch Wismar – zunächst bis zur sowjetischen Ortskommandantur. Besagter Offizier stieg dort aus, kam aber nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder zurück, und der Wagen fuhr nun stadteinwärts. Wir bogen auch in die Straße ein, in der ich wohnte, und stoppten vor unserer Haustür – aber nur für Sekunden, dann gab der Fahrer wie wild Gas, der Wagen preschte ab – was in mir damals vorging, ist auch heute noch nicht beschreibbar.
Ich wurde nach Schwerin gefahren, am nächsten Tag ging’s dann mit der Grünen Minna weiter nach Magdeburg. Daß ich in Magdeburg gelandet war, erfuhr ich vom Vernehmer. Die Unterkunft in diesem Haus war „grandios”: eine Zelle im Keller, kaum zwei Meter breit und vielleicht knapp vier Meter lang. Das kleine Fenster, das mit dem Erdboden abschloß, war mit einer Schute verstellt, so daß man weder etwas sehen noch frische Luft hinein konnte. Die ganze „Inneneinrichtung” bestand aus einem zwölf bis 15 Zentimeter hohen Podest, das die Hälfte der Zelle ausmachte, sowie einem verrosteten Kübel für die Notdurft. Am Abend gab es um 23 Uhr zwei Matratzenstücke, die früh um 6 Uhr wieder rausgeholt wurden. Ansonsten weder Decke noch etwas anderes zum Wärmen, so daß man diese ganze Zeit, die bis Ende November dauerte, Tag und Nacht nicht aus den Kleidern kam, die auch ansonsten nicht gewechselt werden konnten.
Der Morgen bescherte uns nach dem Wecken einen Becher Wasser, ein Stück Sandseife sowie ein Handtuch, welches alles von Zelle zu Zelle gereicht wurde. Ich war zum Glück die erste. Aber dennoch: Wie gut, daß es keinen Spiegel gab, in dem man sich mit seinem ganzen ekelhaften Äußeren hätte sehen können. Das Frühstück bestand Morgen für Morgen aus einem Stück trockenem Brot, einem halben Salzhering, einem Stückchen Würfelzucker und einem Becher Tee.
Es waren die gleichen Becher, die wir vorher zum Waschen bekommen hatten.

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